Maren Esser bewegt sich,
als sei sie auf der Pirsch. Ganz langsam setzt die zierliche Frau einen Fuß vor den anderen, erst berührt die Ferse den Boden, dann rollt sie langsam nach vorne ab. Jetzt beugt sie den Kopf, beobachtet ihre Schritte genau. Zeitlu pe. Die Menschen, die vorbeikommen, schauen mit einer Mischung aus Mit leid und Verwunderung zu ihr herüber.
Maren Esser stoppt die Übung und lacht. Dann sagt sie: „Mir ist fast nichts mehr peinlich.“
Seit drei Jahren macht die Marke tingkauffrau neben ihrem Vertriebsjob eine Ausbildung zur Yogalehrerin. Auch achtsam und meditativ zu gehen hat sie dabei gelernt. Was manchmal verrückt aussieht, führte bei ihr im Laufe der Zeit zu einer inneren Wandlung. „Ich habe früher immer gedacht, ich muss mein Leben ändern, brauche dieses oder jenes, um Erfüllung zu finden“, sagt die 35-Jährige, die inzwischen selbst Yoga kurse leitet. „Heute habe ich eine innere Zufriedenheit und empfinde oft tiefe Lauter kleine Wunder mitten im Eilbeker Park.
Und große, wie Maren Essers „alter Freund“: die Blutbuche.
Dankbarkeit, weil ich erkenne, was ich alles habe.“ Und damit meint sie weder Geld noch materielle Güter.
Seit Maren Esser im Homeoffice arbeitet, geht sie täglich fast immer dieselbe kurze Strecke. Dabei übt sie, aufmerksam zu sein und sogar zu meditieren – mitten im Rauschen der Groß stadt: raus aus der Haustür, vorbei am tosenden Verkehr auf der Straßburger Straße, hinein in den Eilbeker Park. „Ich entdecke dabei immer wieder etwas Neues.“ Muster im Mauerwerk über einer Haustür etwa, Schaufensterdekorationen, ein Graffiti an einer Brücke. Warum das die Stimmung hebe? Wer ständig grübelt und Probleme wälzt, kann sich damit den schönsten Sonnentag vermiesen. Wer es dagegen schafft, den Kopf frei zu bekommen, überwindet Groll und Kummer. Übungen wie die, jeden Schritt bewusst zu setzen, wirken wie ein Training. Maren Esser nennt das „den Geist beruhigen, indem man ihm eine Aufgabe stellt“. Man könne auch der Luft beim Ein
und Ausatmen nachspüren oder die Umgebung besonders aufmerksam betrachten, wie die Freiwilligen einer amerikanischen Studie (siehe Kasten). „Worauf man sich konzentriert, legt jeder selbst fest.“ Esser empfiehlt ledig lich, sich nur eine Sache vorzunehmen. Das können auch Geräusche sein – oder die Beschaffenheit des Untergrunds.
Und so geschehen auch für Maren Esser auf ihrem achtsamen Weg durch den von großen Straßen umsäumten Park noch immer kleine Wunder. Kürz
lich erst entdeckte sie am Rand einer Freifläche einen alten Riesen, der ihr seltsamerweise zuvor nie aufgefallen war: eine mächtige Blutbuche mit schweren, gewundenen Ästen, einem gigantischen Stamm und ausgreifen
dem Wurzelwerk. „Seitdem ich meine Buche entdeckt habe, gehe ich zu ihr und halte inne, so, als ob ich den Baum kurz besuche.“ Demut fühle sie dann, Dankbarkeit.
Manchmal fragt sie sich, wie der Baum, „mein alter Freund“, überhaupt so wachsen konnte? Und ob er sie wohl überdauern wird? Fragen, die niemand beantworten kann, die aber wegführen vom Alltag mit all seinen Problemen. Einfach nur schauen und staunen.
Es hilft – egal, wie verrückt es aussieht.
Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de
Achtsame Spaziergänge fördern nachweislich Zufriedenheit und Wohlbefinden.